Was sind Verhaltensstörungen?

Bevor wir näher auf die verschiedenen Verhaltensstörungen eingehen, muss zuerst geklärt werden was abnormales Verhalten ist. Es gibt bisher keine wissenschaftliche Definition für psychische Störungen bei Papageien. Auch wird dieses Thema leider nur selten ausführlich in der Literatur behandelt. Es gibt jedoch eine Vielzahl von Definitionsversuchen, die sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert haben. Diese Definitionen sind natürlich auch stark vom Standpunkt geprägt. Im Bereich der Nutztierhaltung (z.B. Legehennenbatterien) sind die Sichtweisen vermutlich anders geprägt, als beim Privathalter. Werner Lantermann befasste sich erstmals ausführlich mit diesem Thema und hält die folgende Definition für brauchbar:

Psychische Störungen bei Papageien liegen insbesondere dann vor, wenn in ihren täglichen Aktionsabläufen Verhaltensweisen vorkommen, die zum einen keine (individuen- oder arterhaltende) Funktion innerhalb eines Haltungssystems (oder entsprechende Ableitungen aus dem Freilandverhalten) erkennen lassen und zum anderen körperliche Schäden (am eigenen Körper oder bei Artgenossen) hervorrufen oder begünstigen (Lantermann 1989, vgl. Hediger 1942).

Weitere, durch diese Definition nicht abgedeckte ungewöhnliche Verhaltensformen, die bei Artgenossen unter vergleichbaren oder ähnlichen Haltungsbedingungen nicht auftreten, bezeichnet der Autor als Verhaltensmodifikationen:

Verhaltensmodifikationen sind möglicherweise grundsätzlich sinnwidrige, unter Gefangenschaftsbedingungen aber unter Umständen höchst sinnvolle bzw. zwangsläufig entstehende, nicht- pathologische Verhaltensanpassungen an bestehende Umgebungsverhältnisse (Lantermann 1989).

Diese Definitionen wollen auch wir als Ausgangspunkt für weitere Betrachtungen über Verhaltensstörungen nutzen. Schwierig ist es, die Grenze zwischen normal und abnormal zu ziehen, zwischen Wohlbefinden und Leiden. Auch hier taucht wieder das Problem auf, dass es kaum Studien über das Freilandverhalten von Papageien gibt. In Gefangenschaft müssen sich die Vögel aber auch zwangsläufig anpassen, ein direkter Vergleich mit Wildtieren ist also teilweise gar nicht zweckmäßig. Ist zum Beispiel das Nachahmungstalent von Papageien eine Verhaltensstörung, wenn es ohne Zwang und in Schwarmhaltung erlernt wird? - Nach Lantermann sind solche Verhaltensmodifikationen durchaus sinnvoll und in Gefangenschaft nicht zu vermeiden. Solche Modifikationen des Verhaltens sehen wir nicht zwingend negativ. Sie dienen in erster Linie dem Zusammenleben von Mensch und Tier. Eine Therapie ist dann angebracht, wenn die Verhaltensmodifikation das Tier in seinem Schwarmleben einschränkt, oder körperliche Schäden auftreten können.

Text: Jana Rückschloss